„Gestatten, ich bin ein Arschloch“

– ein netter Narzisst und Psychiater erklärt, wie Sie Narzissten entlarven und ihnen Paroli bieten

Pablo Hagemeyer, Eden Books, 2020, 256 S.

© 2020, Eden books

© 2020, Eden books

Pablo Hagemeyer ist Psychiater und bekennender Narzisst. Über Ursachen des Narzissmus und seine Wirkungen auf den Narzissten selbst sowie auf seine Umwelt spricht er aus eigener, auch schon mal leidvoller, Erfahrung.

Da er aber, in seiner Selbsteinschätzung, ein ‚netter‘ Narzisst ist, gibt Hagemeyer auch gleich eine ganze Reihe an Tipps, wie man Narzissmus (natürlich immer nur bei den Anderen) erkennt und geschickt mit solchen Persönlichkeiten umgeht. 

Niemand ist freiwillig Narzisst

Nach Hagemeyer wird kein Mensch freiwillig zum Narzissten. Sondern die Entwicklung von narzisstischen Persönlichkeitszügen ist eine entwicklungspsychologische Reaktion auf Verletzungen des Selbstwertes in früher Kindheit. Unbedingte Liebe durch die ersten Bezugspersonen (in der Regel die Eltern) ist Grundvoraussetzung, damit das Kind ein gesundes Selbstwertgefühl entwickeln kann. Ein Mangel an wahrgenommener Liebe und Zuwendung bewirkt, dass das Kind sich nicht als liebenswert wahrnimmt und neue Strategien zur Bestätigung der eigenen Liebenswertigkeit entwickelt. Eine solche Strategie ist der Aufbau eines neuen, scheinbar liebenswerten Selbst. Dieses neue Selbst sucht nach Erfolg, Bestätigung und Bewunderung und überdeckt damit die Wunden des verletzten, ursprünglichen Selbst. Eine frühkindliche Strategie der Selbstbehauptung.

Empathie? Fehlanzeige

Grandiosität egal auf welchem Gebiet wird dann zum Lebensinhalt. Narzissten prüfen jede soziale Situation dahingehend, ob sie den (äußerlichen) Selbstwert steigern kann. Situationen und Mitmenschen werden dafür permanent be- und, gegebenenfalls, verurteilt. Empathie für andere? Fehlanzeige. Gleichzeitig leben Menschen mit starker narzisstischer Prägung aber auch in ständiger Verletzbarkeit und Angst vor der Bedeutungslosigkeit. Denn wo der Selbstwert allein vom äußeren Zuspruch abhängt, muss ein Mangel an Zuspruch direkt als Angriff auf den Selbstwert erscheinen. Hagemeyer berichtet auch von seiner tief sitzenden Traurigkeit, die der Narzissmus nur eine Zeit lang verdeckte.

All dies macht es den Mitmenschen von Narzissten nicht leicht. Aus Sicht der Narzissten dienen ihre Mitmenschen vornehmlich einem Zweck – nämlich, ihren eigenen Selbstwert zu steigern. „Narzissten kapern den anderen wie Piraten“, sagt Hagemeyer. Solange dies gelingt, ist alles gut. Aber sobald Partner und Mitmenschen eigene Ansprüche geltend machen oder gar Kritik am Verhalten des Narzissten üben, sind Probleme vorprogrammiert.

Es ist nie genug

Doch auch für Narzissten birgt dieses Verhalten Probleme. Denn dieses völlig natürliche Muster aus der frühen Kindheit wird den Mangel an Selbstwertgefühl vielleicht eine Weile überdecken. Beheben kann es ihn nicht. Und hier liegt der Kern des Getrieben-Seins der Narzissten. Der Narzisst oder (vielleicht seltener) die Narzisstin suchen immer wieder nach Bestätigung und Bewunderung, doch äußere Bewunderung kann nie das fehlende innere Selbstwertgefühl ersetzen. Und so bleibt all dieses Streben letztendlich vergeblich. Es ist nie genug. Das neue Haus, das nächste Statussymbol, der weitere berufliche Erfolg – sie führen vielleicht kurzfristig zur Bestätigung des Selbstwertes. Doch schon bald stellt sich die ursprüngliche Leere wieder ein, und die Jagd nach Bewunderung geht in die nächste Runde. 

Sturz vom Olymp

Nach Hagemeyer liegt hier auch der Ursprung für die tiefen Krisen, in denen sich Narzissten so oft wiederfinden und die sie so fürchten. Das neue, zweite Selbst der Narzissten hat sein Gebäude des Selbstwertgefühls auf Bewunderung von außen gegründet. Fällt diese weg, stürzt das ganze Gebäude ein. Dies kann durch äußere Umstände geschehen, zum Beispiel durch eine Kündigung im Job oder das Ende einer Partnerschaft. Oder durch die innere Erkenntnis, dass hinter dem künstlich aufgebauten Selbstwert eigentlich gar nichts ist. Nur die gefürchtete innere Bedeutungslosigkeit. In jedem Fall ist der Sturz vom narzisstischen Olymp tief. Kein Netz eines Grundvertrauens in sich und die Welt fängt und trägt die so Gefallenen.

Vorbeugung und Pflege

Damit es nicht (wieder einmal) so weit kommt, gibt Hagemeyer ein paar Tipps für die Narzissten sowie für ihr Umfeld. Zunächst sollte klar sein, dass es ein weites Spektrum an narzisstischen Persönlichkeitsmerkmalen gibt. Viele Merkmale sind völlig normal, dienen der gesunden Motivation und bedürfen keiner besonderen Behandlung. Nehmen solche Merkmale aber überhand, kann professionelle Unterstützung sinnvoll sein. Und (seltene) krankhafte Ausprägungen bedürfen medizinischer Hilfe. Aber für die leichteren Fälle, zu denen sich Hagemeyer in einem Anflug von Bescheidenheit rechnet, ist auch Selbsthilfe durchaus möglich. Diese beginnt mit Empathie für das ursprüngliche Selbst. Es gilt, diesen verletzten und verschütteten Persönlichkeitsanteil wiederzuentdecken und zu akzeptieren. Damit kann dann die Abhängigkeit von äußerer Bestätigung allmählich schwinden, und so auch der Zwang zur Be- und Verurteilung und die Angst vor der eigenen Bedeutungslosigkeit.

Die Mitmenschen können helfen. Wenn erst einmal die Hintergründe von narzisstischen Persönlichkeitsmerkmalen klar geworden sind, können auch die Mitmenschen der Narzissten zur Verringerung oder Überwindung beitragen. Immer wenn sich das grandiose „Größen-Ich“ des Narzissten (Jochen Peichl) wieder zeigt, können Partner, Familie und Freunde darauf hinweisen und Alternativen aufzeigen. Dies sollte stets mit Liebe und Fürsorge geschehen – denn darauf sind die Narzissten ja angewiesen. Versuche der Beschwichtigung einerseits oder offene Konfrontation andererseits werden nur das Narzissten-Ich herausfordern und stärken. Klar, dass das nicht einfach ist; sorgt doch der Narzisst für ein Klima, in dem gutgemeinte Ratschläge unerwünscht erscheinen.

Nützliche Information, locker vermittelt

Für alle, die sich für die psychologischen Hintergründe von Narzissmus interessieren, ist dieses Buch hilfreich. Das Ganze ist in lockerem Ton geschrieben und nicht staubtrocken aufgebaut wie ein Fachbuch. Der Humor kommt nicht zu kurz, und es gibt eine Fülle an Beispielen und Geschichten aus dem Alltag des Psychiaters. Insbesondere zieht sich die Geschichte von Tom und Tina und ihren Erfahrungen mit einem ausgeprägten Narzissmus durch alle Kapitel, spannend bis zum Ende. Hinzu kommen noch Auszüge aus Gesprächen des Autors mit seiner Frau, die offenbar Wege gefunden hat, die gröbsten narzisstischen Auswüchse ihres Ehemannes im Keim zu ersticken. Eine einmalige Lektüre des Buches wird die Probleme rund um den Narzissmus wohl nicht lösen. Aber ein besseres Verständnis ist sicher ein guter erster Schritt zur Besserung.

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