Zweimal berufliche Veränderung
Hier kommen zwei Bücher, die sich mit Sinnfragen und Neuausrichtung vornehmlich im beruflichen Umfeld beschäftigen.
Entdecke dein Wofür — Der Weg zu einem Leben, das wirklich deins ist
Ali Mahlodji, Gräfe und Unzer, 2020, 224 S.
© Gräfe und Unzer, 2020
Mit vierzig Jahren kann Ali Mahlodji auf einen beeindruckenden Lebensweg zurückblicken. Als Kind iranischer Regimeflüchtlinge startet er als Stotterer und schulischer Underperfomer ins Leben. Nach (Abend-)Schulabschluss und Studium folgt eine steile Karriere im IT Sektor. Doch die endet jäh mit einem Burnout. Mahlodji verwirklicht einen alten Traum und wird Lehrer. Nebenbei gründet er die erfolgreiche Internetplattform ‚whatchado‘, die Karrierefragen Jugendlicher und Karriereangebote von Unternehmen in unterhaltsamer Weise zusammenbringt. Heute ist Mahlodji zusätzlich als Coach, Berater und Redner unterwegs – für Manager und Führungspersönlichkeiten ebenso wie für Schüler. Sein zentrales Motto: Geh Deinen eigenen und unverwechselbaren Weg für ein erfülltes Leben. Er hat es ja mit seinem eigenem Leben vorgemacht.
Anleitung zum erfüllten Leben
„Entdecke dein Wofür“ ist Mahlodjis Anleitung zu diesem erfüllten Leben. Ausgehend von der Frage nach dem Sinn geht es über Aspekte der Selbstfindung hin zu konkreten Anregungen und Ideen, das Leben nach den selbst gesetzten Maßstäben in die Hand zu nehmen. Beispiele aus Mahlodjis eigenem Leben illustrieren die Anregungen und lockern das Ganze auf. Dabei liegt der Fokus im Wesentlichen auf Berufsfragen, persönliche Lebensentscheidungen kommen am Rande vor.
Lebenslange Suche nach dem Sinn
Zur Frage nach dem Sinn beruft sich Mahlodji auf das Konzept des Ikigai. Das Ikigai beinhaltet den Lebenssinn oder das Lebensglück in der japanischen Kultur. Besonders wichtig ist dabei, dass es jedem Individuum selbst aufgegeben ist, dieses persönliche Ikigai zu suchen. Diese Suche kann langwierig sein und Rückschläge erleiden. Es ist wichtig, auch lange Phasen der Ungewissheit auszuhalten – denn die Suche kann ein Leben lang dauern.
Bei der Suche nach Sinn treffen wir auch immer wieder auf Menschen, die diese Beschäftigung belächeln oder in der Tat für ‚sinn-los‘ halten. Nach Mahlodji können diese – zunächst vielleicht lästigen – Menschen unsere „besten LehrerInnen“ sein. Denn sie zeigen uns gerade die Stellen auf, wo wir uns verändern wollen. Wer mehr zu diesem Thema sucht, insbesondere zu der Frage, warum gerade manche Menschen uns höchst effektiv von unserem Sinn fernhalten können, schaue bei Robert Betz unter dem Begriff „Arsch-Engel“.
Nimm Dir einen Zettel
Nach der Sinnfindung geht es an die eigentliche Arbeit. Wie bringe ich den Lebenssinn, den ich für mich erkannt habe, ins richtige Leben? Mahlodji schlägt eine Reihe von Schritten vor: zunächst gilt es, Hemmnisse aus Denkweisen der Vergangenheit loszulassen, dann die Vision eines erfüllten Lebens zu entwickeln und schließlich diese Vision in die Tat umzusetzen. Für all diese Schritte hat der Autor konkrete Anregungen und Übungen zur Umsetzung parat. In vielen Fällen empfiehlt Mahlodji, Überlegungen und Ziele schriftlich festzuhalten. „Nimm Dir einen Zettel und schreib .. “ ist die Aufforderung am Beginn zahlreicher Übungen.
Für die Verarbeitung der Vergangenheit, etwa, empfiehlt Mahlodji, Briefe an die Eltern und an andere wichtige Personen aus früheren Lebensphasen zu verfassen. In diesen Briefen sollen alle Gefühle der Dankbarkeit aber auch alle Verletzungen festgehalten werden. Ob man diese Briefe dann tatsächlich abschicken will, bleibt jedem selbst überlassen. Wichtig ist, diese Gedanken und Gefühle einmal geordnet zu Papier zu bringen. Denn nur dann kann man sie loslassen. Ein Mittel, wie es auch von der Glücksforschung empfohlen wird. Hier erzählt Mahlodji auch eindringlich, wie er erst allmählich die empfundenen ‚Versäumnisse und Verfehlungen‘ seiner Eltern zu akzeptieren und letztlich zu schätzen gelernt hat.
Der eigene Nachruf
Wer sich auf diese Weise von der Vergangenheit gelöst hat, kann befreit nach vorn schauen. Eine schöne Übung, die Vision vom erfüllten Leben besser in den Griff zu bekommen, ist, seinen eigenen Nachruf auf das erträumte erfüllte Leben zu schreiben. Auf diese Weise können wir festhalten, was wir genau unter Erfüllung verstehen. Und das für jeden Lebensbereich, beruflich, in der Familie, bei Hobbies und in bezug auf Freunde und mögliche ehrenamtliche Tätigkeiten.
Weil so ein Nachruf in der Regel noch recht allgemein ist, geht es im nächsten Schritt darum, die eigenen Träume ganz konkret und im Wortsinn zu be-schreiben. Wenn die Träume konkret formuliert sind, kann man sie sich täglich vor Augen halten und sich so immer wieder motivieren. Mahlodji erzählt von den eigenen Träumen, an deren Verwirklichung er nie zu glauben gewagt hätte: z. B. ein eigenes Unternehmen zu gründen oder – als ehemaliger Stotterer – vor vielen Menschen frei zu sprechen. Jeden Morgen hat er auf die Liste seiner Träume geschaut und sie dann nach und nach umgesetzt.
Ein Vertrag auf die Zukunft
Damit die Dinge dann auch wirklich ins Rollen kommen, empfiehlt der Autor, mit sich selbst und unter Zeugen einen Vertrag zu schließen – natürlich wieder schriftlich. Darin sind die Ziele und die wichtigsten Schritte zu ihrer Umsetzung festgehalten. Und die Zeugen sind aufgefordert, jederzeit mit ihrer Vertragskopie zu wedeln und die Umsetzung einzufordern. Hoffentlich sind die Beziehungen zu unseren Zeugen ausreichend belastbar, damit sie auch nach der dritten Ermahnung noch an unseren festen Willen zur Umsetzung glauben.
Überhaupt spielt für Mahlodji die Unterstützung durch Freunde und Bekannte eine große Rolle für das Erreichen der Lebensziele. Er propagiert, seine Ziele und Wünsche so weit wie möglich öffentlich zu machen – denn darüber erhalten wir wichtige Rückmeldungen, Anregungen und Unterstützung. Zweifel oder das Risiko, sich lächerlich zu machen, muss man dafür in Kauf nehmen.
Kopf aus dem Sand — Erste Hilfe für unruhige Zeiten und berufliche Sackgassen
Tom Diesbrock, Campus, 2021, 246 S.
© Campus Verlag, 2021
Berufliche Wechsel sind auch Tom Diesbrock nicht unbekant, wenn auch nicht gar so dramatisch wie bei Ali Mahlodji. Zunächst mit einem Medizinstudium gestartet, fand er über kreative und soziale Jobs schliesslich zur Psychologie und arbeitet heute als Psychotherapeut und Coach mit einem Schwerpunkt auf Probleme des beruflichen Übergangs.
Auf der Grundlage seiner Ausbildung und seiner Erfahrung als Berater kommt er zu einem ganz ähnlichen Schema für eine erfolgreiche berufliche Neuorientierung: Es gilt, sich die eigenen Ressourcen bewusst zu machen, alte und hinderliche Denkmuster der Vergangenheit abzulegen, neue Visionen zu entwickeln und dann mit konkreten Schritten zur Veränderung zu starten.
Alles schriftlich und strukturiert
Wie Mahlodji, und vielleicht stärker noch, betont Diesbrock, alle Ideen, Gedanken und Pläne schriftlich festzuhalten. Nur so kann aus Wünschen und Träumen ein echter Wandel entstehen. Und da, wo Mahlodji vielleicht etwas ungenau bleibt, gibt Tom Diesbrock ganz konkrete Anweisungen, wie diese effektive Planung für einen beruflichen Wechsel aussehen kann – bis hin zur Grösse der zu verwendenden Notizbögen (DIN A3).
Wichtig ist Diesbrock insbesondere ein strukturiertes Herangehen an die Aufgabe des beruflichen Wechsels: eine klare Diagnose der aktuellen Situation ist der Ausgangspunkt. Das schliesst die Frage ein, welche Ängste und Befürchtungen einen vor dem erträumten Wechsel zurückschrecken lassen. Ein Schönreden gibt es bei ihm nicht – wenn das Job-Pferd tot ist, heisst es abzusteigen.
Mit Mindmaps zur Vision
Die künftige Vision entsteht dann auf den Ressourcen der Vergangenheit – welche Werte und Interessen habe ich, welche Fähigkeiten und Erfahrungen bringe ich mit und welche muss ich noch erwerben? Zentrales Hilfsmittel sind Mindmaps – grosse Notizbögen, die reichlich Platz für die Entwicklung von Ideen bieten. Diese werden gut sichtbar an Wände und Türen des ‚Kontrollzentrums zur beruflichen Veränderung‘ geklebt und unterstützen so Motivation und Kreativität. Wo Mahlodji den Rückblick auf eine gelungenes Leben (Stichwort: eigener Nachruf) als visionäres Hilfsmittel empfiehlt, rät Diesbrock, sich einen konkreten Tag in der erträumten Zukunft, z. B. heute in zehn Jahren, vorzustellen und den Traum so in Form zu giessen. Am Ende dürften die so entstandenen Bilder einander recht ähnlich sein.
Fünf Optionen
Schliesslich entwickelt Diesbrock fünf Optionen für einen beruflichen Wechsel – von einer begrenzten Veränderung des aktuellen Jobs bis hin zu einer vollständigen beruflichen Neuorientierung. Die Auswahl der besten Option bleibt dem Klienten überlassen. Erst wenn diese grundsätzliche Entscheidung getroffen ist, geht es an die Schritte zur Umsetzung – weiterhin strukturiert und zielorientiert. Zunächst wird ein ideales aber konkretes Job-Profil entwickelt. Erst dann erst prüft man, was machbar ist und welche Hindernisse oder Beschränkungen vielleicht eine Anpassung des Ideals verlangen.
Übrigens legt Diesbrock, ebenso wie Mahlodji, grossen Wert auf Freunde und Bekannte, die den Wechselprozess unterstützen sollen. Ein freundschaftliches und dabei realistisches Feedback auf Ideen und Pläne ist mehr Wert als stundenlanges Grübeln im stillen Kämmerlein.
Fazit: Diesbrock und Mahlodji als Helfer für Veränderung
Für Diesbrock ist der erfolgreiche berufliche Wechsel das Ergebnis eines Prozesses, der Struktur und Arbeit verlangt. Wie in jedem grösseren Projekt braucht es konkrete, detaillierte Pläne, die auch äussere wie innere Hemmnisse und Rückschläge berücksichtigen. Und dann braucht es eine solide Ausdauer, sie umzusetzen. Wer das Programm von Diesbrock konsequent durcharbeitet und die Übungen ernst nimmt, findet vielleicht nicht direkt seinen Traumjob. Auf jeden Fall lernt er oder sie aber eine Menge darüber, wie man eine solche Aufgabe professionell angeht. Und am Ende auch über sich selbst.
Dagegen liegt bei Mahlodji der Schwerpunkt mehr auf der Motivation zur Veränderung und weniger auf den Details des Prozesses. Was dem Autor mit seinem Leben gelang, sollen alle schaffen können. An manchen Stellen richtet er sich wohl eher an jüngere Leser auf der Suche nach ihrer Berufung, aber nützlich sind seine Gedanken für alle. Dabei basieren die Ratschläge erklärtermaßen nicht auf Erkenntnissen aus Theorie und Wissenschaft, aber sie sind auch nicht weit vom etablierten Mainstream entfernt. Insbesondere ist die Sinnfrage ein zentraler Bestandteil der Literatur zur Glücksforschung. Auch Mahlodjis Ansatz gibt keine Erfolgsgarantie für ein geglücktes Leben. Aber sein eigenes Lebensbeispiel gibt Hoffnung, dass es einen Versuch wert sein könnte.