Glück allein macht keinen Sinn: Die vier Säulen eines erfüllten Lebens

Emily Esfahani Smith (Übers. A. Tschöpe), Goldmann, 2020, 352 S.

© 2020, Penguin Random House Verlagsgruppe

© 2020, Penguin Random House Verlagsgruppe

Am Anfang des Buches steht die Sinnkrise: Welchen Sinn hat das Leben? Wie finden wir Sinn in einer Zeit, in der die sinnstiftenden Strukturen der Vergangenheit, wie Familienstrukturen, Kirchen oder Gesellschaftsstrukturen, an Bedeutung verloren haben.

Emily Esfahani Smith ist Autorin und Journalistin in Washington DC, mit einem Abschlüssen in Philosophie sowie in Positiver Psychologie von der University of Pennsylvania, dem Zentrum der Forschung auf diesem Teilgebiet der Psychologie. Und diese drei Facetten ihres Lebenslaufes, Journalismus, Philosophie und Positive Psychologie, prägen das Buch. Aufbauend auf den Überlegungen der (westlichen) Philosophie und den Forschungsergebnissen der Positiven Psychologie identifiziert Smith vier Säulen der Sinnfindung, auf denen ein erfülltes Leben gelingen kann.  

Glück ist nicht Sinn

Wichtig ist zunächst die Unterscheidung von Sinn und Glück. Nach Smith führt die Jagd nach immer neuen kurzfristigen Glücksmomenten nicht zu einem erfüllten Leben. Dagegen entsteht Erfüllung nur aus Sinn – und der Sinn geht über das begrenzte eigene Empfinden hinaus. Sinn entsteht aus der Sorge für andere, aus Verantwortung für die Umwelt oder auch durch Erfahrung der Transzendenz, wie sie viele Religionen anbieten. Kurzfristiges Glück ist dabei nebensächlich. Zum Unterschied zwischen Glück und Sinn zitiert Smith John Stuart Mill: ‘Es ist besser, ein unzufriedener Mensch zu sein als ein zufriedenes Schwein; besser ein unzufriedener Sokrates als ein zufriedener Narr.’ 

Sinn – auch ohne Religion

Doch wie finden wir nun Sinn in einer Zeit, in der die traditionellen Sinn-Systeme der Gesellschaft und der Religionen in der Hintergrund getreten sind? Laut Smith bestehen die vier Säulen bestehen darin, i) sich zugehörig zu fühlen, ii) die eigene Bestimmung zu finden, iii) die Welt durch Geschichten zu verstehen und iv) sich als Teil eines größeren Ganzen zu erfahren. Jeder dieser Säulen ist ein Kapitel gewidmet, dazu kommen noch zwei Kapitel mit einer Art von Anwendungsbeispielen dieser Ideen auf konkrete Situationen, wie zum Beispiel Umgang mit dem Tod einer geliebten Person, Sinnkulturen für Jugendliche, Bestimmung finden im Ruhestand. 

Geschichten ordnen das Chaos

Insbesondere das Kapitel zur dritten Säule, die Welt durch Geschichten zu verstehen,  hat mir gut gefallen. Das Chaos der Welt und die Unwägbarkeiten des Lebens lassen sich mit dem Verstand nicht erfassen. Wir brauchen und benutzen Geschichten, um dem Geschehen in unserem Leben und um uns herum einen Sinn zu geben. Hier sind wir nah an dem Konzept der narrativen Identität von Dan McAdams, dem auch Smith ein paar Seiten widmet. Die Lebensgeschichten von Personen, die ihr Leben als besonders sinnhaft erfahren, zeichnen sich dabei durch eine Besonderheit aus: oft schildern diese Personen einen Wandel von schlecht zu gut, von Verzweiflung zu Erlösung. Dabei bedeutet Erlösung nicht, dass sich eine Krise ‘gelohnt’ hätte, sondern sie erhält eine Bedeutung für das weitere Leben. Diese Bedeutung entsteht in der Geschichte, die wir zu der Krise erschaffen. 

Viktor Frankl: Ende mit Sinn

Etwas unscheinbar heißt das letzte Kapitel des Buches ‘Schluss’. Hier geht es aber nicht um eine einfache Zusammenfassung. Es geht um den Schluss -- die Sinnfrage im Angesicht der eigenen Begrenztheit und des Todes. Für mich ist dies das stärkste Kapitel des Buches. Smith erläutert und beschreibt die Erkenntnisse von William Breitbart, der in New York in der Arbeit mit HIV- und Krebspatienten die Sinnstiftung am Lebensende studiert und schließlich auch eine Therapie zur Unterstützung der Sinnfindung am absehbaren Lebensende entwickelt hat. Fallgeschichten zeigen, dass auch eine ausweglose Diagnose nicht zur Verzweiflung führen muss. Ein sinnvolles Lebensende ist möglich. Das Buch schließt mit einer Abhandlung über Viktor Frankl, der in dem Buch ‘Trotzdem Ja zum Leben sagen – ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager’ beschreibt, wie er als KZ-Insasse durch die Zuwendung zu anderen Kraft und Sinn erfuhr. Frankl: “Mensch sein zeigt immer und ist ausgerichtet auf etwas anderes oder jemand anderen als man selbst — sei es einen Sinn zu erfüllen oder einen anderen Menschen zu treffen. Je mehr man sich selbst vergisst — indem man sich selbst einem Zweck hingibt um zu dienen oder um von einer anderen Person geliebt zu werden — desto menschlicher ist man.“

Insgesamt bietet Smith mit ‘Glück allein macht keinen Sinn: Die vier Säulen eines erfüllten Lebens’ einen weiten Überblick über die Philosophie und die Psychologie der Sinnfrage. In sicherer amerikanischer Journalisten-Manier bieten die Fallbeispiele Einblicke in alle Facetten des begrenzten und bedrohten Lebens, in der Regel in Übereinstimmung mit den Ideen der Forschung und mit einem happy end. Die konkrete Auswahl der vier Säulen, auf denen ein erfülltes Leben aufbauen kann, folgt aus der eigenen Interpretation der Autorin von Philosophie und Psychologie. Das ist also nicht die Positive Psychologie in Reinform, aber insgesamt sind die vorgestellten Konzepte durchaus mit ihr vereinbar.

Kurzum, ein wertvolles Buch für alle, die gern flüssig und weltbezogen über die Sinnfrage lesen und nachdenken möchten.

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