Widerstand zwecklos
Für Andreas Knuf gibt es schon mehr als genug Glücksratgeber, die uns erklären, wie wir in nur wenigen Schritten heraus aus der aktuellen Unzufriedenheit und hinein ins eigene Glück finden. Knuf sieht das anders. Im Mittelpunkt steht für ihn nicht die kraftraubende Überwindung von Hindernissen auf dem Weg zum Glück, sondern die Annahme dessen, was ist.
— wie unser Leben leichter wird, wenn wir es annehmen, wie es ist
Andreas Knuf, Kösel, 2018, 192 S.
© Kösel, 2018
Für Andreas Knuf gibt es schon mehr als genug Glücksratgeber, die uns erklären, wie wir in nur wenigen Schritten heraus aus der aktuellen Unzufriedenheit und hinein ins eigene Glück finden. Eine ganze Industrie bietet Bücher, Seminare, Coachings oder Therapien zu Themen wie der Optimierung unserer Beziehungen und unserer Arbeitswelt ebenso wie unseres inneren Glücksgefühls. Stets geht es darum, Sichtweisen oder Handlungen zu verändern und der Perfektion näher zu kommen.
Knuf sieht das anders. Im Mittelpunkt steht für ihn nicht die kraftraubende Überwindung von Hindernissen auf dem Weg zum Glück, sondern die Annahme dessen, was ist. In seiner Praxis als Psychotherapeut legt er den Schwerpunkt seiner Arbeit mehr auf Emotionen als auf den Verstand, auch im Sinn der Acceptance and Commitment Therapy, die grundsätzlich mit der Annahme auch unerwünschter Gefühle beginnt.
Leid = Schmerz + Widerstand
Grundsätzlich gilt: Bevor man Dinge und Situationen verändern kann, muss man sie erst einmal angenommen haben. Die Nicht-Akzeptanz von Situationen und das Verneinen von den damit verbundenen Gefühlen verstärken die Probleme nur. Dabei können schwierige oder schmerzhafte Verhältnisse durchaus nach Veränderung rufen. Nur gelingt eine Veränderung eben letztlich nur durch eine Annahme der Situation. Widerstand und Nicht-Annahme erzeugen nur zusätzliches Leid. Leid = Schmerz + Widerstand, sagt Knuf.
So helfen Schmerzmittel zwar zur Linderung akuter Probleme. Auf die Dauer bringt diese Art von Widerstand aber keine Lösung, vielmehr verfestigen sich die schmerzauslösenden Strukturen und am Ende droht vielleicht sogar eine (ungewollte) Abhängigkeit. Zusätzlich zum ursprünglichen Schmerz entsteht auch noch Vermeidungsleid. Das gleiche gilt für oberflächliche Strategien zum Umgang mit schwierigen Situationen in Beruf oder Privatleben. Für eine Lösung gilt es, zunächst die Ursache des Schmerzes zu verstehen und anzunehmen. Erst dann kann man an der Lösung arbeiten.
Annehmen bedeutet nicht gutheißen
Dabei stellt Knuf klar, dass Annehmen keineswegs mit einem Gutheißen oder Schönreden zu verwechseln ist. Zur Annahme gehört die schonungslose Akzeptanz der Realität und der damit verbundenen Gefühle wie Angst, Scham oder Wut. Und es gehört auch dazu, die Grenzen der möglichen Veränderungen zu akzeptieren. Das Verhalten von Chefs, Kollegen und (meistens) auch dem Partner wird man nicht komplett ändern können.
Wirklich alles annehmen?
Doch muss ich nun alles annehmen, was ich über eine schwierige Situation in Beruf oder Privatleben denke? Hier unterscheidet Knuf zwischen Tatsachen und Bewertungen. An den Tatsachen führt kein Weg vorbei. Doch bei den eigenen Bewertungen ist Vorsicht angebracht. Oft beruhen solche Bewertungen auf verinnerlichten Glaubenssätzen, die nicht hilfreich sind. Wer zum Beispiel sich stets abwertet und unterlegen fühlt, wird auch eine neue Krise als Beleg für die eigene Minderwertigkeit einstufen. Solche — oft aus der Kindheit übernommenen — Muster gilt es zu erkennen und kritisch zu überprüfen. Schließlich beschreiben sie nicht Tatsachen sondern Einschätzungen, die man längst nicht unverändert für alle Zeiten beibehalten muss.
Vollständig im Hier und Jetzt
Dieser Ansatz zwingt auch, die Situation im Hier und Jetzt zu betrachten. Grübeleien darüber, was hätte sein können oder was man selbst hätte tun können sind letztlich nur eine Flucht aus der Realität. Solche Grübeleien und damit verbundene Schuldgefühle helfen nicht bei der Lösung. Am Ende läuft der Abschied vom Grübeln und von unrealistischen Phantasien darauf hinaus, sich auch mit eigenen Fehlern und Unvollkommenheiten anzunehmen.
Akzeptanz passiert wie die Stille
Wenn all diese Störungen aus Beschönigungen, inneren Glaubenssätzen und willkürlichen Bewertungen wegfallen, ist der Weg zur Akzeptanz frei. Sie tritt ein wie die Stille – nicht dadurch, dass man willentlich aktiv wird (und damit eher mehr Lärm erzeugt), sondern dadurch, dass man alle Störgeräusche weglässt. Knuf betont hier die Bedeutung von Selbstmitgefühl. Den eigenen kritischen Gedanken und Selbstvorwürfen trete man wie ein guter Freund gegenüber – annehmend und nicht verurteilend. Aus der freundschaftlichen Zusage können dann neue Grundüberzeugungen und Lösungskompetenzen wachsen.
Insgesamt gibt Andreas Knuf hier einen Leitfaden für den besonnenen Umgang mit Krisen und Veränderungen. Bevor man, wie andere Autoren, mit aller Energie auf neue Ziele zusteuert, sollte man sich Klarheit verschaffen über die eigene Situation und die eigenen Gefühle, aber auch mögliche Fehlurteile. Mit diesen Erkenntnissen erscheinen dann die mannigfaltigen Glücksversprechungen in einem anderen Licht.
Glück allein macht keinen Sinn: Die vier Säulen eines erfüllten Lebens
Welchen Sinn hat das Leben und wie sollen wir es gestalten? Hergebrachte Quellen der Sinnstiftung, wie gesellschaftliche Institutionen oder Religionen, verlieren an Bedeutung. Philosphie und Psychologie liefern neue Antworten.
Emily Esfahani Smith (Übers. A. Tschöpe), Goldmann, 2020, 352 S.
© 2020, Penguin Random House Verlagsgruppe
Am Anfang des Buches steht die Sinnkrise: Welchen Sinn hat das Leben? Wie finden wir Sinn in einer Zeit, in der die sinnstiftenden Strukturen der Vergangenheit, wie Familienstrukturen, Kirchen oder Gesellschaftsstrukturen, an Bedeutung verloren haben.
Emily Esfahani Smith ist Autorin und Journalistin in Washington DC, mit einem Abschlüssen in Philosophie sowie in Positiver Psychologie von der University of Pennsylvania, dem Zentrum der Forschung auf diesem Teilgebiet der Psychologie. Und diese drei Facetten ihres Lebenslaufes, Journalismus, Philosophie und Positive Psychologie, prägen das Buch. Aufbauend auf den Überlegungen der (westlichen) Philosophie und den Forschungsergebnissen der Positiven Psychologie identifiziert Smith vier Säulen der Sinnfindung, auf denen ein erfülltes Leben gelingen kann.
Glück ist nicht Sinn
Wichtig ist zunächst die Unterscheidung von Sinn und Glück. Nach Smith führt die Jagd nach immer neuen kurzfristigen Glücksmomenten nicht zu einem erfüllten Leben. Dagegen entsteht Erfüllung nur aus Sinn – und der Sinn geht über das begrenzte eigene Empfinden hinaus. Sinn entsteht aus der Sorge für andere, aus Verantwortung für die Umwelt oder auch durch Erfahrung der Transzendenz, wie sie viele Religionen anbieten. Kurzfristiges Glück ist dabei nebensächlich. Zum Unterschied zwischen Glück und Sinn zitiert Smith John Stuart Mill: ‘Es ist besser, ein unzufriedener Mensch zu sein als ein zufriedenes Schwein; besser ein unzufriedener Sokrates als ein zufriedener Narr.’
Sinn – auch ohne Religion
Doch wie finden wir nun Sinn in einer Zeit, in der die traditionellen Sinn-Systeme der Gesellschaft und der Religionen in der Hintergrund getreten sind? Laut Smith bestehen die vier Säulen bestehen darin, i) sich zugehörig zu fühlen, ii) die eigene Bestimmung zu finden, iii) die Welt durch Geschichten zu verstehen und iv) sich als Teil eines größeren Ganzen zu erfahren. Jeder dieser Säulen ist ein Kapitel gewidmet, dazu kommen noch zwei Kapitel mit einer Art von Anwendungsbeispielen dieser Ideen auf konkrete Situationen, wie zum Beispiel Umgang mit dem Tod einer geliebten Person, Sinnkulturen für Jugendliche, Bestimmung finden im Ruhestand.
Geschichten ordnen das Chaos
Insbesondere das Kapitel zur dritten Säule, die Welt durch Geschichten zu verstehen, hat mir gut gefallen. Das Chaos der Welt und die Unwägbarkeiten des Lebens lassen sich mit dem Verstand nicht erfassen. Wir brauchen und benutzen Geschichten, um dem Geschehen in unserem Leben und um uns herum einen Sinn zu geben. Hier sind wir nah an dem Konzept der narrativen Identität von Dan McAdams, dem auch Smith ein paar Seiten widmet. Die Lebensgeschichten von Personen, die ihr Leben als besonders sinnhaft erfahren, zeichnen sich dabei durch eine Besonderheit aus: oft schildern diese Personen einen Wandel von schlecht zu gut, von Verzweiflung zu Erlösung. Dabei bedeutet Erlösung nicht, dass sich eine Krise ‘gelohnt’ hätte, sondern sie erhält eine Bedeutung für das weitere Leben. Diese Bedeutung entsteht in der Geschichte, die wir zu der Krise erschaffen.
Viktor Frankl: Ende mit Sinn
Etwas unscheinbar heißt das letzte Kapitel des Buches ‘Schluss’. Hier geht es aber nicht um eine einfache Zusammenfassung. Es geht um den Schluss -- die Sinnfrage im Angesicht der eigenen Begrenztheit und des Todes. Für mich ist dies das stärkste Kapitel des Buches. Smith erläutert und beschreibt die Erkenntnisse von William Breitbart, der in New York in der Arbeit mit HIV- und Krebspatienten die Sinnstiftung am Lebensende studiert und schließlich auch eine Therapie zur Unterstützung der Sinnfindung am absehbaren Lebensende entwickelt hat. Fallgeschichten zeigen, dass auch eine ausweglose Diagnose nicht zur Verzweiflung führen muss. Ein sinnvolles Lebensende ist möglich. Das Buch schließt mit einer Abhandlung über Viktor Frankl, der in dem Buch ‘Trotzdem Ja zum Leben sagen – ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager’ beschreibt, wie er als KZ-Insasse durch die Zuwendung zu anderen Kraft und Sinn erfuhr. Frankl: “Mensch sein zeigt immer und ist ausgerichtet auf etwas anderes oder jemand anderen als man selbst — sei es einen Sinn zu erfüllen oder einen anderen Menschen zu treffen. Je mehr man sich selbst vergisst — indem man sich selbst einem Zweck hingibt um zu dienen oder um von einer anderen Person geliebt zu werden — desto menschlicher ist man.“
Insgesamt bietet Smith mit ‘Glück allein macht keinen Sinn: Die vier Säulen eines erfüllten Lebens’ einen weiten Überblick über die Philosophie und die Psychologie der Sinnfrage. In sicherer amerikanischer Journalisten-Manier bieten die Fallbeispiele Einblicke in alle Facetten des begrenzten und bedrohten Lebens, in der Regel in Übereinstimmung mit den Ideen der Forschung und mit einem happy end. Die konkrete Auswahl der vier Säulen, auf denen ein erfülltes Leben aufbauen kann, folgt aus der eigenen Interpretation der Autorin von Philosophie und Psychologie. Das ist also nicht die Positive Psychologie in Reinform, aber insgesamt sind die vorgestellten Konzepte durchaus mit ihr vereinbar.
Kurzum, ein wertvolles Buch für alle, die gern flüssig und weltbezogen über die Sinnfrage lesen und nachdenken möchten.
Das gelungene Ich: Die vier Säulen der Hirnforschung für ein erfülltes Leben
Hans-Otto Thomashoff arbeitet als Psychiater und Psychoanalytiker in Wien, dem Schaffenszentrum Sigmund Freuds. Dem entsprechend spielt für ihn die Mutter-Kind Beziehung eine dominante Rolle für das gelingende Ich.
Hans-Otto Thomashoff, Ariston, 2017, 271 S.
© 2017, Verlagsgruppe Penguin Random House
Hans-Otto Thomashoff arbeitet als Psychiater und Psychoanalytiker in Wien. Psychoanalyse ist der psychotherapeutische Ansatz nach Sigmund Freud. Dieser Ansatz misst der frühkindlichen Entwicklung große Bedeutung bei und sucht in Erlebnissen aus dieser Phase nach Erklärungen für psychische Störungen und Beeinträchtigungen bei Erwachsenen, häufig auch im Bereich der Sexualität. In der Herangehensweise spielt die sprichwörtliche ‘Therapeutencouch’ eine wesentliche Rolle: Der Psychoanalyst sitzt oberhalb des Patienten und außerhalb seines Blickfelds. Aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung ist er in der Lage, im Zusammenspiel mit dem Patienten die Herkunft und Bedeutung seiner oft aus dem Unbewussten entstehenden Assoziationen zu erklären.
Die Mutter der Psychoanalyse
Die fachliche Ausrichtung des Autors spiegelt sich in den wesentlichen Aussagen des Buches wider, insbesondere in der Betonung der Bedeutung der Mutter-Kind Beziehung für die gesunde psychische Entwicklung. Das Buch ist in zwei große Abschnitte unterteilt. Der erste behandelt aktuelle Erkenntnisse aus der Hirnforschung und ihre Bedeutung für die Entwicklung der Persönlichkeit. Der zweite überträgt diese Erkenntnisse in den Alltag.
“Leben ist Gefühl”
Im ersten Abschnitt spielen zwei Aspekte der menschlichen Natur für Thomashoff eine zentrale Rolle: der Einfluss der Umwelt auf die Entwicklung der Persönlichkeit und die Bedeutung von Bindungen und Beziehungen. Um in einer feindlichen Umwelt zu überleben, muss der Mensch Gefahren wahrnehmen und aus Erfahrungen lernen. Hier spielen Gefühle eine zentrale Rolle – “Leben ist Gefühl” – allen voran die Angst. Denn nur Angst vor Gefahren schützt den Menschen vor leichtsinnigem und lebensgefährlichem Verhalten. Deshalb sind die Mechanismen der Angst in den evolutionär ältesten Teilen des Gehirns angesiedelt.
Gefühle vor Gedanken
Das rationale Denken und das Herstellen von Zusammenhängen ist in evolutionär neueren Teilen des Gehirns angelegt. Aus der Erfahrung von sich wiederholenden Erfahrungen entwickelt dieser Teil Denkmuster und innere Glaubenssätze, die dem Menschen nach und nach das Überleben erleichtern. Solche Muster machen das Leben einfacher: Aus der Fülle von möglichen Überlegungen und Reaktionen legen sie die persönlichen Einstellungen und Antworten fest – und geben damit Kapazität frei für das Nachdenken über neue Fragen.
Denkmuster sind eingeschliffen – auch falsche
Dabei ist es keinesfalls ausgemacht, dass diese Denkmuster und Glaubenssätze rational richtig oder auch nur dauerhaft hilfreich sind. In der Entwicklung der Persönlichkeit werden sie geprägt von den frühesten Erfahrungen ab der Geburt und teilweise schon davor. Und hier kommt nach Thomashoff die zentrale Rolle von Beziehungen und Bindungen zum Tragen. Die Gefühle im Zeitpunkt des Erlebens beeinflussen entscheidend die Entwicklung der Denkmuster. Und je früher die Erlebnisse in der frühkindlichen Entwicklung stattfinden umso tiefer und bleibender ihr Einfluss. Erlebt das Kleinkind eine Umwelt, in der es sich sicher und geborgen fühlt, dann entwickelt es Vertrauen in sich und andere und wird sich so in der Welt zurechtfinden. Geschieht dies nicht, zum Beispiel durch die frühe Trennung von den als sicher erlebten Bezugspersonen, entstehen rasch problematische Denkmuster (zum Beispiel „ich bin nicht liebenswert“), die sich im weiteren Lebensweg festsetzen können.
Gutes bewirken, Stress bewältigen, Stimmigkeit erlangen
Zusätzlich zu den Beziehungen sieht Thomashoff drei weitere Elemente als zentral für die menschliche Existenz an. Zunächst das aktive Bewirken, das heißt, die Motivation, Dinge zu erschaffen. Denn Leben besteht nicht nur in der Vermeidung von Gefahr, sondern eben auch in der Erschaffung von Neuem. Dazu kommt unser Verhältnis zum Stress, der ebenso hilfreich wie schädlich sein kann. Dabei helfen gelungene Beziehungen, den negativen Stress zu verringern. Und schließlich das Streben nach Kohärenz: Unser Bemühen, einen Sinn im Leben zu finden und Gefühle und Gedanken in Übereinstimmung zu bringen, für uns persönlich wie auch in unseren Beziehungen.
Die vier Säulen
Was heißt das nun für die Frage nach dem erfüllten Leben? Nach Thomashoff ruht ein gelingendes Leben auf den vier Säulen von guten Beziehungen, aktivem Handeln, einer gesunden Menge an Stress und einem Gefühl der Stimmigkeit. In allen vier Bereichen sieht Thomashoff die Übereinstimmung von Gefühlen und Gedanken als zentrales Element an. Dabei können wir jedoch nur unsere Gedanken kontrollieren; die Gefühle in den tieferen Hirnarealen können wir nicht steuern. Deshalb ist es so wichtig, dass wir unsere Gefühle ebenso wie unsere Gedanken wahrnehmen und dysfunktionale Muster gegebenenfalls durchbrechen. So muss eine kleinere Enttäuschung durch den Partner eben nicht in einem wiederkehrenden Muster in eine grundsätzliche Frage nach der Zukunft der Beziehung münden – mit Hilfe unserer Vernunft können wir sie als das erkennen, was sie ist: ein Kratzer, aber kein Totalschaden.
Ähnlichkeiten zur Empirie
Das Vier-Säulen Konzept von Thomashoff drängt auf einen Vergleich mit den ebenfalls vier Säulen, die Emily Esfahani Smith als Voraussetzung für eine geglücktes Leben findet. Der Psychoanalytiker Thomashoff identifiziert seine vier Säulen auf der Grundlage der neueren, oft theoretischen, Hirnforschung. Dagegen basiert Smith ihre Säulen auf den weitgehend empirischen Ergebnissen der Positiven Psychologie. Trotz dieser Unterschiede im Ansatz gibt es doch Ähnlichkeiten bei den Grundlagen für ein gelungenes Leben. Was bei Thomashoff die guten Beziehungen sind, drückt Smith als das (etwas weiter definierte) Gefühl der Zugehörigkeit aus. Thomashoffs Säulen des aktiven Bewirkens und der Stimmigkeit zeigen Ähnlichkeiten mit den Konzepten der Bestimmung und der Bedeutung konsistenter Geschichten, die Smith hervorhebt. Dagegen finden die Ideen des Stressmanagements (Thomashoff) und der Verbindung zum großen Ganzen (Smith) keine direkte Entsprechung.
Insgesamt bietet “Das gelungene Ich” einen zugänglich geschriebenen Überblick über neuere Funde der Hirnforschung vor dem Hintergrund der psychoanalytischen Theorie. Die konkreten Tipps für ein gelungenes Leben sind nicht so konkret ausformuliert wie bei Smith – vielleicht auch eine Folge des psychoanalytischen Hintergrunds des Autors, der konkrete Interpretationen und Handlungsanweisungen erst aus dem persönlichen Zusammenspiel zwischen Analytiker und Patient vorsieht.
Mach dich locker: Der schnelle Weg zu einem fast perfekten Leben
Jelle Hermus ist ein niederländischer Blogger, so um die 35 Jahre alt. Er betreibt den Blog ‘soChicken.nl’ (auf Niederländisch). Hier kombiniert er seine Tipps zu einer lockeren Anleitung zum Leben.
Jelle Hermus (Übers. I. Ostermann), LEO Verlag, 2018, 304 S.
© 2018, LEO Verlag
Jelle Hermus ist ein niederländischer Blogger, so um die 35 Jahre alt. Er betreibt den Blog ‘soChicken.nl’ (auf Niederländisch), der Tipps verspricht, wie man sein Leben in kleinen Schritten immer angenehmer macht.
Gesammelte Blog-Einträge
Ich vermute, das Buch ist die strukturierte Zusammenstellung der Blog-Einträge, habe das allerdings (mangels Sprachkenntnissen) nicht überprüft. Im Buch zeigt Hermus seinen Weg zu einem glücklichen Leben. In seiner Definition dreht sich das um Freiheit, Freude und Erfüllung. Zu jedem dieser drei Elemente bringt Hermus Hinweise und Beispiele, wie man diese Ziele erreichen kann.
Die Ausbrüt-Methode
Seinen bevorzugten Weg dazu nennt er die ‘Ausbrüt-Methode’. Sie basiert auf den drei Prinzipien: ‘setz auf das richtige Nest, brüte nur die besten Eier aus, und brüte intelligent, aber nicht verbissen’. Das heißt konkret geht es immer wieder darum, einfache, offensichtliche Lösungen für Probleme des Alltags zu finden, und diese Schritt für Schritt umzusetzen.
Freiheit
Zum Beispiel dient die Ausbrüt-Methode dazu, Freiheit zu erreichen. Dafür soll man sich von allem physischen Ballast in seinem Leben trennen. Konkret: aufräumen und wegwerfen. Hermus preist hier einen gewissen Minimalismus – je leerer die Wohnung desto grösser die Freiheit. Ebenso mit der Befreiung von Zeitfressern: Fernsehen, Apps und alle übrigen Zeitfresser soweit wie möglich de-installieren und abschaffen und so Zeit gewinnen für das Wesentliche – wie zum Beispiel bereichernde Begegnungen mit guten Freunden. Marie Kondo lässt grüßen.
Freude
Zur Steigerung der eigenen Freude gilt es nach Hermus, sein Glück selbst in die Hand zu nehmen. Man beschließt, den ‘Schalter umzulegen‘, und glücklich sein zu wollen. Dann entdeckt man die Einfachheit des Glücks: ‘Sein ist das Einzige, was man tun muss’. Gemäß der Methode der kleinen, offensichtlichen Schritte integrieren wir dafür Dankbarkeit und Achtsamkeit in unseren Alltag; Yoga und Meditation sind ebenso hilfreich.
Erfüllung
Für den Weg zur eigenen Erfüllung geht es schließlich darum, die eigene Endlichkeit anzunehmen. Dass man lebt, spürt man am besten, wenn die Grenzen des Lebens wahrnimmt. Die eigene Vergänglichkeit gehört dazu. Aber auch das Austesten der eigenen Grenzen, indem wir immer wieder unsere Komfortzone verlassen – Dinge tun, die wir uns bisher nicht getraut haben.
Den Endpunkt dieses Weges zum Glück sieht Hermus im Übergang vom Streben (nach immer mehr für uns selbst) zum Beitragen (für unsere Mitmenschen). Wenn wir rückhaltlos geben ohne auf unseren eigenen Vorteil zu schielen, werden wir zum Licht und zur Liebe für unsere Mitmenschen.
Doch nicht ganz so locker
So weit der Blogger Jelle Hermus. Was machen wir jetzt damit? Das Buch kommt in Titel, Aufmachung und Schreibe tatsächlich ziemlich locker daher. Aber das täuscht. Geht man mit Hermus den Weg zum Glück zu Ende, würde das für die meisten von uns unser gesamtes Leben vollständig umkrempeln. Allen unnützen Krempel wegwerfen, dankbar und achtsam sein, Liebe für alle – das klingt schon toll, für alle, die sich trauen. Ich persönlich würde wahrscheinlich erstmal mit einer kleineren Nummer beginnen.
Es scheint mir auch, dass Hermus ein junger und erfolgreicher selbständiger Blogger ist, der gern seine Einsichten mit uns teilt. Doch was machen die, die in familiären, beruflichen oder sozialen Zwängen stecken? Die sich nicht so einfach von allem befreien können und die nicht so einfach ihr Leben umstellen können, ohne dabei in ihrem Umfeld große Verwerfungen zu riskieren? Oder die einen Ballast aus der eigenen Vergangenheit nicht einfach abwerfen können?
Die Mischung ist neu
Und dann noch ein vielleicht etwas akademischer Einwand. Vieles, was Hermus vorschlägt und mit Beispielen aus dem eigenen Leben belegt, ist nicht neu. Referenzen zu den Quellen seiner Einsichten fehlen jedoch. Einige Elemente des propagierten Weges sind in der Positiven Psychologie umfassend erforscht. Für den Umgang mit eigenen Emotionen und den Aufbau von Distanz in der Selbstwahrnehmung kommt zudem Harvard-Professorin Susan David (‘Emotionale Beweglichkeit’) in den Sinn. Andere Elemente, zum Beispiel Vegetarismus, andere Lebewesen nicht verletzen, Liebe für alle, scheinen mir eng mit buddhistischen Konzepten verwandt. Aber eine Diskussion von spirituellen Ansätzen oder eine Abgrenzung dazu präsentiert Hermus nicht.
Jelle folgen – oder auch nicht
Jelle Hermus hat seinen Weg zum Glück gefunden und, anscheinend, schon ein gutes Stück darauf zurückgelegt. Jede möge für sich entscheiden, ob sie ihm folgen will und inwieweit das Buch dabei hilft. Insgesamt für mich ein Buch, das ein bisschen im Schafspelz daher kommt, aber zu tiefem Nachdenken über Sicht auf das eigene Leben einlädt. Am eigenen Beispiel zeigt Hermus, wie weit ein solch konsequentes Nachdenken führen kann.
Erfülltes Leben
Friedemann Schulz von Thun ist einer der bekanntesten deutschen praktischen Psychologen. Seine Modelle zur Kommunikation (Vier-Ohren Modell) sowie zur Persönlichkeit (Inneres Team) zählen zum Standard-Repertoire in Coaching und Psychotherapie. Diese Buch legt seine persönliche Sicht zur Frage des richtigen Lebens dar.
Friedemann Schulz von Thun, Carl Hanser Verlag, 2021, 213 S.
© 2021, Carl Hanser Verlag
Friedemann Schulz von Thun ist einer der bekanntesten deutschen Psychologen. Seine Modelle zur Kommunikation (Vier-Ohren Modell) sowie zur Persönlichkeit (Inneres Team) zählen zum Standard-Repertoire in Coaching und Psychotherapie.
Mit ‚Erfülltes Leben‘ legt Schulz von Thun nun seine persönliche Sicht zur Frage der richtigen Lebensgestaltung vor. Er beruft sich dabei auf seine eigene Lebenserfahrung, seine wissenschaftlichen Einsichten sowie auf große Künstler und Denker. Goethe, Hermann Hesse, Johann Sebastian Bach und andere Geistesgrößen sind stets präsent.
Humanismus als Basis
Über allem steht ein zutiefst humanistisches Bild des Menschen, dessen Selbstwerdung das Maß eines erfüllten Lebens ist. „Unsere Individualität zu leben ist eine Herausforderung, die uns ein Leben lang auf Trab hält“, zitiert der Autor den kürzlich verstorbenen Schweizer Experten für persönliche Entwicklung Remo Largo.
Vier Pfeiler und eine Klammer
Was sind nun die Grundlagen für ein erfülltes Leben? Schulz von Thun liebt Vier-Felder Diagramme (z. B. die vier Ohren) und findet auch für das erfüllte Leben vier Pfeiler: i) die Erfüllung eigener Wünsche, ii) den sinnstiftenden Beitrag zu größeren Aufgaben, iii) die gelingende Erzählung der Hochs und Tiefs im eigenen Leben sowie iv) die eigene Wahrnehmung als Teil des Kosmos. Diese vier Pfeiler werden zusammengehalten von der übergeordneten Selbsterfüllung: erfülltes Leben gelingt, wenn alle Aspekte des Lebens als stimmig mit dem eigenen Selbst erlebt werden.
Das klingt einfach – doch der Teufel steckt im Detail. So erklärt der Autor, dass die wirklichen Wünsche nicht unbedingt immer die naheliegendsten sein müssen. Manchen ‚Herzenswunsch‘ lässt man sich auch von Mitmenschen einreden. Schulz von Thun berichtet eher kleinlaut von einem Steuersparmodell, bei dem er glaubte mitmachen zu müssen und das dann gründlich schief ging. Die Rolle als Steuerfuchs ist nicht wirklich die seine.
Wir spielen verschiedene Rollen
Auch Stimmigkeit in der Selbsterfüllung kommt nicht von allein. Welches Verhalten ist stimmig und meinem Wesen gerecht? Menschliches Verhalten gründet auf einer Kombination aus äußeren Erwartungen an einer bestimmte Rolle (z. B. als Vater, Freundin, Kollege) und dem persönlichen Selbstverständnis. Beide stehen in einem dynamischen Prozess: „Du macht Deine Geschichte und Deine Geschichte macht etwas mit Dir“, sagt der Autor.
Das innere Team
Mit Hilfe des Konzepts des „inneren Teams“ lässt sich dieser Prozess besser verstehen. Unsere Persönlichkeit besteht nicht aus einem Block. In uns sind viele Persönlichkeiten angelegt, und sie kommen in verschiedenen Situationen unterschiedlich zum Tragen. Zum Beispiel kann derselbe Mensch als penibler Zahlentyp im Job als Buchhalter auftreten und abends unter Freunden als großzügiger Gastgeber, der über Kleinigkeiten hinwegsieht. Stimmig ist das Leben, wenn die Persönlichkeitsanteile im Gleichgewicht sind und keiner die anderen unangemessen dominiert.
Risiko Narzissmus
Umgekehrt tut extreme Selbsterfüllung, wenn narzisstische Persönlichkeitsanteile überhand nehmen, nicht gut. Dann geht es nur noch um die Bestätigung des eigenen Selbstwertes auf Kosten anderer – oft aus einem verletzten ursprünglichen Selbstvertrauen heraus. Stimmig wird die Persönlichkeit, wenn dieses mangelnde ursprüngliche Selbstvertrauen erkannt und gestärkt wird und keine künstliche Selbsterhöhung auf Kosten anderer mehr nötig ist.
Was sagen andere Autoren?
‚Erfülltes Leben‘ ist ein sehr persönliches Buch, voll mit Beobachtungen aus Forschung und Wissenschaft, die er Zeit seines Lebens mitverfolgt und vorangetrieben hat. Dabei präsentiert der Autor hier nicht unbedingt ein einheitliches und allgemein gültiges, empirisch belegtes Schema sondern eher eine Mischung aus verschiedenen Aspekten, denen er Bedeutung zumisst, angereichert um Episoden aus dem eigenen Leben.
Vier oder fünf Glücksfaktoren?
Einige der hier genannten Aspekte ähneln denen, die in den vergangenen Jahrzehnten auf dem Gebiet der empirischen Glücksforschung erkannt wurden. So identifiziert etwa auch Emily E. Smith (‚Die vier Säulen eines erfüllten Lebens‘) vier Säulen als entscheidend für ein erfülltes Leben, nämlich: gelingende Beziehungen, eine eigene Bestimmung, die Formulierung einer eigenen Geschichte sowie die Selbstwahrnehmung als Teil des Ganzen. Wie man sieht, sind drei der vier Elemente bei beiden Autoren gleich und Schulz von Thun ersetzt nur die Rolle der Beziehungen durch Erfüllung eigener Wünsche.
Dagegen deutet die Positive Psychologie auf fünf Faktoren des Glücks hin: Positive Erfahrungen, Engagement für sinnvolle Aktivitäten, gesunde menschliche Beziehungen, ein Gefühl der Sinnhaftigkeit des Lebens sowie Erfolge und Leistungen, auf die man zurückblicken kann. Die ersten beiden Elemente (positive Erfahrungen, sinnvolles Engagement) sowie die Erfahrung der Sinnhaftigkeit liegen nah bei den Elementen, die auch Schulz von Thun betont. Dagegen ist der Aspekt der zwischenmenschlichen Beziehungen bei Schulz von Thun nicht direkt zu finden, während umgekehrt die Erfahrung der Transzendenz nicht unbedingt zu den fünf empirisch belegten Glückselementen zählt.
Aber auch bei der Gewichtung der einzelnen Faktoren gibt es Unterschiede. So stellt in der sogenannten narrativen Psychologie die Erzählung der eigenen Lebensgeschichte das zentrale Element der Persönlichkeitsentwicklung dar und ist nicht nur ein Element unter mehreren.
Insgesamt muss wohl jeder seine eigenen Glücksfaktoren finden. Die Beobachtungen von Schulz von Thun und der übrigen Forschung können helfen, mögliche Defizite zu erkennen und Zusammenhänge besser zu verstehen. Schulz von Thuns Buch hilft hier besonders beim Verstehen der unterschiedlichen Persönlichkeitsanteile im inneren Team. Am Ende sollen ja alle Mitglieder des Teams glücklich werden.
Glücklich sein – warum Sie es in der Hand haben, zufrieden zu leben
Sonja Lyubomirsky forscht über das Glück. Mit Hilfe der Ergebnisse der Positiven Psychologie zeigt sie, wie jeder sein Glück zu einem großen Teil selbst gestalten kann.
Sonja Lyubomirsky (Übers. v. Jürgen Neubauer), Campus Verlag, 2018, 361 S.
© 2018, Campus Verlag
Sonja Lyubomirsky erforscht das Glück. Sie ist Professor für Psychologie an der University of California, Riverside, mit Abschlüssen von Harvard und Stanford. Ihr Fachgebiet Glück ist ein Kernthema der Positiven Psychologie. Die klassische angewandte Psychologie beschäftigt sich zu einem großen Teil mit der Diagnose und Therapie von psychologischen Problemen. Dagegen widmet sich die Positive Psychologie den Faktoren, die das Leben des Einzelnen lebenswerter machen – den Faktoren hinter dem persönlichen Glück. Ein großer Teil dieser Forschung ist empirisch: mit Hilfe von Fragebögen und Experimenten versuchen die Forscher herauszufinden, was Menschen glücklich macht.
Diesen Umstand sollte man beim Lesen des Buches im Kopf behalten. Die Ergebnisse sind grundsätzlich statistischer Natur: sie gelten für die meisten Menschen in den meisten Lebenssituationen – für jeden von uns mögen einzelne Ergebnisse dagegen gar nicht zutreffen oder andere Faktoren wichtiger sein als für den Durchschnittsmenschen. Die ‚Glücksfaktoren‘, die diese Herangehensweise über Durchschnittsbetrachtungen herausfiltert, scheinen sich dann auch auf Anhieb nicht besonders von klassischen Kalenderweisheiten zu unterscheiden. Denke positiv, tue Gutes, vergib Deinen Mitmenschen und treibe Sport – für diese Tipps müsste man nicht unbedingt über 300 Seiten lesen.
Kuschelthema oder Wissenschaft?
Sonja Lyubomirsky ist sich der Nähe zum ‚Kitsch‘ durchaus bewusst, wurde doch ihr Forschungsthema Glück in der Forschung lange als ‚undefinierbares Kuschelthema‘ angesehen. Der wesentliche Unterschied der hier vorgestellten neueren Forschung ist, dass die Ergebnisse mit wissenschaftlichen Methoden gewonnen wurden und mit zahlreichen empirischen Studien belegt sind.
Eine zentrale Botschaft des Buches gibt Antwort auf die Frage, zu welchem Anteil wir unser Glück tatsächlich selbst in der Hand haben. Werden nicht manche Menschen einfach glücklicher geboren? Oder sind nicht Faktoren, die wir gar nicht beeinflussen können, entscheidend für unser Glück – so wie Gesundheit, Wohlstand, Aussehen? Lyubomirsky zitiert zahlreiche akademische Studien, die diese (manchmal bequemen) Vermutungen ins rechte Licht rücken: zu 50% ist unser Glücksempfinden uns tatsächlich vorgegeben, sei es durch unsere Gene oder unser Temperament. Unbeeinflussbare Faktoren wie die oben erwähnten tragen weitere 10% zum Glücksempfinden bei. Das heißt nach Lyubomirsky, dass wir für 40% unseres Glücks selbst verantwortlich sind. Und daran können wir arbeiten.
Zwölf Glücksaktivitäten …
Zwölf Glücksaktivitäten stellt die Autorin vor, die nachweislich das persönliche Glücksempfinden dauerhaft steigern: im Bereich positives Denken sind dies Dankbarkeit, Optimismus und das Vermeiden von Grübeleien; im sozialen Bereich nennt Lyubomirsky Hilfsbereitschaft und Pflege von Beziehungen; für den Umgang mit Belastungen empfiehlt sie das Entwickeln von Bewältigungsstrategien und praktizierte Vergebung; für ein Leben im Hier und Jetzt helfen Flow-Erfahrungen und Genuss; und schließlich gilt es, sich Ziele zu setzen, einen Zugang zu Religion und Spiritualität zu finden sowie seinen Körper und Geist durch Sport und Meditation im Gleichgewicht zu halten.
… und ein Test
Weil kein Mensch alle Vorschläge auf jedem einzelnen Gebiet realistisch umsetzen kann, bietet Lyubomirsky realistischerweise einen Test an, um die drei oder vier wichtigsten Felder für sich selbst herauszufinden. Einfach gesagt, hilft der Test herauszufinden, wie wichtig man die einzelnen Glücksfaktoren findet und wie leicht die Umsetzung fällt. Manch einem oder einer fällt Dankbarkeit möglicherweise leichter als, zum Beispiel, regelmäßig Sport zu treiben. Bei anderen ist es vielleicht genau umgekehrt. Am besten, man beginnt mit den Strategien, die einem liegen.
So gerüstet kann sich dann die Leserin oder der Leser direkt mit den einzelnen Empfehlungen beschäftigen. Was mir dabei besonders gut gefällt, sind die vielen praktischen Tipps, wie man die Glücksfaktoren ins eigene Leben einbauen kann. So empfiehlt Lyubomirsky im Bereich Bewältigungsstrategien die Technik des ‚expressiven Schreibens‘: indem wir negative Erlebnisse aufschreiben, sie in Worte und Geschichten gießen und so einen Sinn herstellen, erhalten wir einen Zugang zu ihrer Bewältigung. Das Chaos von negativen Erlebnissen und Gefühlen erhält eine Struktur und ist damit leichter zu verarbeiten. Hier ist ihr Ansatz nicht weit von Dan McAdams und der narrativen Psychologie entfernt.
“Ich bin nicht der Typ, der Ratgeber kauft und Gutes tut”
Übrigens rät Lyubomirsky davon ab, auf die gleiche Weise positive Erlebnisse aufzuschreiben und so wieder-erlebbar zu machen. Durch das Aufschreiben und die notwendige Konstruktion einer sinnvollen Geschichte geht der Zauber des Erlebten verloren – das Gegenteil von dem, was man erreichen wollte. Besser ist es, sich anhand von Erinnerungsfotos oder Andenken an die schönen Erlebnisse zu erinnern.
Auch in Bezug auf die Umsetzung ihrer Tipps zeigt die Autorin einen gutes Maß an Bodenhaftung: „Ich bin nicht der Typ, der Ratgeber kauft und Gutes tut“, gibt sie unumwunden zu. Und schildert dann eindrucksvoll, wie selbst sie als eingefleischte Glücksforscherin beim Schreiben des Buches spontan ihre eigenen Ratschläge in die Tat umsetzte. Indem sie sich für lange zurückliegende Hilfe bedankte oder andere spontan unterstützte verbesserte sie ihr Leben und das ihrer Mitmenschen. Einfach, praktisch und doch wissenschaftlich fundiert.
Insgesamt nützlich
Insgesamt hat mir das Buch gut gefallen. „Glücklich sein“ behandelt das Thema Glück aus wissenschaftlicher, empirischer Perspektive. Für alle Erkenntnisse und Ratschläge ist die wissenschaftliche Grundlage präzise beschrieben und nachvollziehbar. Gleichzeitig sind die Vorschläge praxisnah und unmittelbar umsetzbar. Wie im Vorwort zur deutschen Ausgabe angesprochen, basiert ein großer Teil der relevanten Literatur auf Untersuchungen in Amerika. Deshalb sollte man bei der Umsetzung in den deutschen Kulturkreis hier und da ein paar Anpassungen vornehmen. Aber das tut der Nützlichkeit der Ratschläge keinen Abbruch.