Glücklich sein – warum Sie es in der Hand haben, zufrieden zu leben
Sonja Lyubomirsky (Übers. v. Jürgen Neubauer), Campus Verlag, 2018, 361 S.
© 2018, Campus Verlag
Sonja Lyubomirsky erforscht das Glück. Sie ist Professor für Psychologie an der University of California, Riverside, mit Abschlüssen von Harvard und Stanford. Ihr Fachgebiet Glück ist ein Kernthema der Positiven Psychologie. Die klassische angewandte Psychologie beschäftigt sich zu einem großen Teil mit der Diagnose und Therapie von psychologischen Problemen. Dagegen widmet sich die Positive Psychologie den Faktoren, die das Leben des Einzelnen lebenswerter machen – den Faktoren hinter dem persönlichen Glück. Ein großer Teil dieser Forschung ist empirisch: mit Hilfe von Fragebögen und Experimenten versuchen die Forscher herauszufinden, was Menschen glücklich macht.
Diesen Umstand sollte man beim Lesen des Buches im Kopf behalten. Die Ergebnisse sind grundsätzlich statistischer Natur: sie gelten für die meisten Menschen in den meisten Lebenssituationen – für jeden von uns mögen einzelne Ergebnisse dagegen gar nicht zutreffen oder andere Faktoren wichtiger sein als für den Durchschnittsmenschen. Die ‚Glücksfaktoren‘, die diese Herangehensweise über Durchschnittsbetrachtungen herausfiltert, scheinen sich dann auch auf Anhieb nicht besonders von klassischen Kalenderweisheiten zu unterscheiden. Denke positiv, tue Gutes, vergib Deinen Mitmenschen und treibe Sport – für diese Tipps müsste man nicht unbedingt über 300 Seiten lesen.
Kuschelthema oder Wissenschaft?
Sonja Lyubomirsky ist sich der Nähe zum ‚Kitsch‘ durchaus bewusst, wurde doch ihr Forschungsthema Glück in der Forschung lange als ‚undefinierbares Kuschelthema‘ angesehen. Der wesentliche Unterschied der hier vorgestellten neueren Forschung ist, dass die Ergebnisse mit wissenschaftlichen Methoden gewonnen wurden und mit zahlreichen empirischen Studien belegt sind.
Eine zentrale Botschaft des Buches gibt Antwort auf die Frage, zu welchem Anteil wir unser Glück tatsächlich selbst in der Hand haben. Werden nicht manche Menschen einfach glücklicher geboren? Oder sind nicht Faktoren, die wir gar nicht beeinflussen können, entscheidend für unser Glück – so wie Gesundheit, Wohlstand, Aussehen? Lyubomirsky zitiert zahlreiche akademische Studien, die diese (manchmal bequemen) Vermutungen ins rechte Licht rücken: zu 50% ist unser Glücksempfinden uns tatsächlich vorgegeben, sei es durch unsere Gene oder unser Temperament. Unbeeinflussbare Faktoren wie die oben erwähnten tragen weitere 10% zum Glücksempfinden bei. Das heißt nach Lyubomirsky, dass wir für 40% unseres Glücks selbst verantwortlich sind. Und daran können wir arbeiten.
Zwölf Glücksaktivitäten …
Zwölf Glücksaktivitäten stellt die Autorin vor, die nachweislich das persönliche Glücksempfinden dauerhaft steigern: im Bereich positives Denken sind dies Dankbarkeit, Optimismus und das Vermeiden von Grübeleien; im sozialen Bereich nennt Lyubomirsky Hilfsbereitschaft und Pflege von Beziehungen; für den Umgang mit Belastungen empfiehlt sie das Entwickeln von Bewältigungsstrategien und praktizierte Vergebung; für ein Leben im Hier und Jetzt helfen Flow-Erfahrungen und Genuss; und schließlich gilt es, sich Ziele zu setzen, einen Zugang zu Religion und Spiritualität zu finden sowie seinen Körper und Geist durch Sport und Meditation im Gleichgewicht zu halten.
… und ein Test
Weil kein Mensch alle Vorschläge auf jedem einzelnen Gebiet realistisch umsetzen kann, bietet Lyubomirsky realistischerweise einen Test an, um die drei oder vier wichtigsten Felder für sich selbst herauszufinden. Einfach gesagt, hilft der Test herauszufinden, wie wichtig man die einzelnen Glücksfaktoren findet und wie leicht die Umsetzung fällt. Manch einem oder einer fällt Dankbarkeit möglicherweise leichter als, zum Beispiel, regelmäßig Sport zu treiben. Bei anderen ist es vielleicht genau umgekehrt. Am besten, man beginnt mit den Strategien, die einem liegen.
So gerüstet kann sich dann die Leserin oder der Leser direkt mit den einzelnen Empfehlungen beschäftigen. Was mir dabei besonders gut gefällt, sind die vielen praktischen Tipps, wie man die Glücksfaktoren ins eigene Leben einbauen kann. So empfiehlt Lyubomirsky im Bereich Bewältigungsstrategien die Technik des ‚expressiven Schreibens‘: indem wir negative Erlebnisse aufschreiben, sie in Worte und Geschichten gießen und so einen Sinn herstellen, erhalten wir einen Zugang zu ihrer Bewältigung. Das Chaos von negativen Erlebnissen und Gefühlen erhält eine Struktur und ist damit leichter zu verarbeiten. Hier ist ihr Ansatz nicht weit von Dan McAdams und der narrativen Psychologie entfernt.
“Ich bin nicht der Typ, der Ratgeber kauft und Gutes tut”
Übrigens rät Lyubomirsky davon ab, auf die gleiche Weise positive Erlebnisse aufzuschreiben und so wieder-erlebbar zu machen. Durch das Aufschreiben und die notwendige Konstruktion einer sinnvollen Geschichte geht der Zauber des Erlebten verloren – das Gegenteil von dem, was man erreichen wollte. Besser ist es, sich anhand von Erinnerungsfotos oder Andenken an die schönen Erlebnisse zu erinnern.
Auch in Bezug auf die Umsetzung ihrer Tipps zeigt die Autorin einen gutes Maß an Bodenhaftung: „Ich bin nicht der Typ, der Ratgeber kauft und Gutes tut“, gibt sie unumwunden zu. Und schildert dann eindrucksvoll, wie selbst sie als eingefleischte Glücksforscherin beim Schreiben des Buches spontan ihre eigenen Ratschläge in die Tat umsetzte. Indem sie sich für lange zurückliegende Hilfe bedankte oder andere spontan unterstützte verbesserte sie ihr Leben und das ihrer Mitmenschen. Einfach, praktisch und doch wissenschaftlich fundiert.
Insgesamt nützlich
Insgesamt hat mir das Buch gut gefallen. „Glücklich sein“ behandelt das Thema Glück aus wissenschaftlicher, empirischer Perspektive. Für alle Erkenntnisse und Ratschläge ist die wissenschaftliche Grundlage präzise beschrieben und nachvollziehbar. Gleichzeitig sind die Vorschläge praxisnah und unmittelbar umsetzbar. Wie im Vorwort zur deutschen Ausgabe angesprochen, basiert ein großer Teil der relevanten Literatur auf Untersuchungen in Amerika. Deshalb sollte man bei der Umsetzung in den deutschen Kulturkreis hier und da ein paar Anpassungen vornehmen. Aber das tut der Nützlichkeit der Ratschläge keinen Abbruch.